TwitternWieBeiMuttern: Ein Blick in den vormedialen Raum

„Wie funktioniert sie denn nun, diese Kommunikation im Web 2.0?“ Wer viel im Internet unterwegs ist, hört vermutlich solche Fragen öfter. Ab und zu versuche ich mich auch mit einer Antwort, beispielsweise in einem Workshop oder auf einer Tagung. Einen solchen Vortrag habe ich gestern Abend vorbereitet. Dort soll ich erklären, was sich in diesem vormedialen Raum abspielt, also was (zumindest ab und zu) im Netz passiert, bevor eine Nachricht in den klassischen Medien erscheint. Just war ich mitten drin in einem netten Beispiel für Kommunikation im Web 2.0: Denn rasent schnell hat sich in Twitter das Meme #TwitternWieBeiMuttern verbreitet. Für die meisten ein nettes Spiel. Für mich das gesuchte Beispiel für neue Möglichkeiten durch Onlinekommunikation.

Doch was genau hat es mit „TwitternWieBeiMuttern“ auf sich? Eine kurze Chronologie:

  • Gestern gegen 16 Uhr schreibt Max Winde, Autor bei Spreeblick, in Twitter: „Da keine neuen Follower kommen muß ich mich besser um euch kümmern. Darum gibt es ab jetzt tolle Gesundheitstipps. #twitternWieBeiMuttern“
  • Es dauert eine kleine Weile, dann greifen andere Twitter-Nutzer das Spiel auf und veröffentlichen Weisheiten, die uns unsere Mütter mitgegeben haben könnten. Immer dabei: Der Hashtag #TwitternWieBeiMuttern (kurzer Einschub: In Twitter kann mit „#“ vor einem Begriff eine Verschlagwortung erreicht werden (= Hashtag). dadurch werden thematisch ähnliches Beiträge leichter auffindbar).
  • Ab 19 Uhr schwillt der Strom an, zwischen 20 und 21 Uhr erreicht das Spiel seinen Höhepunkt: Etliche andere Twitter-Nutzer verwenden den Hashtag und verbreiten allerlei Weisheiten dazu (Beispiel: „Mit vollem Mund wird nicht getwittert!“)
  • Gegen 22 Uhr findet Bernhard Jodeleit schon mehr als 200 Tweets, die mit dem Hashtag versehen werden.
  • Ab 23 Uhr wird’s ziemlich ruhig im Twitterland, doch das Meme hat die Nacht überlebt, die Sache plätschert auch heute weiter. Ein paar Dutzend weiterer Posts sind schon dazu gekommen.
  • Update, 29.8., 15:00 Uhr: Google liefert mehr als 650 Treffer

Jetzt kann man natürlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und laut „So ein Blödsinn“ ausrufen. Klar, das Ganze ist nur ein Spiel. Dennoch wirft dieses Spielchen ein Blitzlicht auf ein paar Aspekte einer veränderten Kommunikation im Web. Meine ersten Thesen und Erkenntnisse:

  • Nicht überraschend: Themen können sich im Internet rasend schnell verbreiten. Nebenbei: Das Ganze wurde auch von ein paar Weblogs aufgegriffen; der erste Post kam etwa eine Stunde nach dem ersten Tweet. Bin gespannt, ob das Ganze noch in andere Medien überspringt.
  • Die Chronologie deckt sich weitgehend mit der Internetnutzung im Tagesablauf. Laut ARD-/ZDF-Onlinestudie erreicht sie ihren Höhepunkt zur früheren Fernseh-Primetime. Die Zeitung ist da schon in Druck, und die PR-Abteilung längst verwaist…
  • Ich habe versucht, mit verschiedenen Tools dem Meme zu folgen – und war enttäuscht. Obwohl alle zu suchenden Beiträge den selben Hashtag trugen, kamen TweetScan, Twemes, Twitscoop und Monitter bzw. Twittersuche zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Am besten geschlagen hat sich nach meinem Eindruck noch TweetScan. Dennoch behaupte ich, dass Twitter Monitoring mit all diesen Tools die Gefahr unvollständiger Ergebnisse und einer zeitlichen Verzögerung (oft 1-2 Stunden) birgt. (Dennoch können sie für den Hausgebrauch gute Dienste leisten).
  • Und noch eine These: Werden Inhalte mit Etiketten versehen (als solche sehe ich Tags oder in Twitter die mit # versehenen Hashtags), können sich diese Memes besonders rasch ausbreiten. Abstrakter gesprochen: Es dürfte das Zusammenspiel aus sozialen Beziehungen (z.B. wer hat welche Position in einem sozialen Netzwerk), der Themen und der Nutzung technischer Möglichkeiten (in Twitter eben des #) zum Erkennbarmachen verwandter Inhalte sein, das aus einem Plätschern einen Informationsstrom machen kann.

Gerade den letzten Punkt werden Netzwerkforscher besser untersuchen und erklären können. Bis dahin muss man auch mit Verallgemeinerungen vorsichtig sein. Ich vermute mal, dass selbst ein großer Teil der Twitternutzer (die wiederum vermutlich weniger als 2 Prozent der Onliner ausmachen) Hashtags nicht kennt oder einsetzt. Dies schränkt den Pool der Themen, die so transportiert werden können, ein. Sprich: Man muss sich genauer anschauen, welche Motive Leute haben, um ein Thema weiterzutragen bzw. wie ein Thema beschaffen sein muss, damit das geschieht. Aber das ist eine andere Frage.

Das Ganze sind noch erste rohe Eindrücke und ich denke, es gibt noch ganz andere Aspekte, mit denen man an solche Phänomene herangehen kann. Relevant scheinen mir diese vor allem für Issue Manager und Spezialisten für Krisen-PR. Umgekehrt dürfte auch hellhörig werden, wer sich mit viralem Marketing beschäftigt.

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6 Kommentare

  1. Hashtags = Etiketten
    Sehr schöne Beschreibung und Erklärung.

    Ich finde es schade, dass diese Verschlagwortung bei Twitter auf Kosten der eigentlich Zeichenanzahl der Nachricht passiert.

    Schade ist es auch, dass man auf Twitter selbst kein Kategorien anlegen kann. Das funktioniert leider nur bei Anwendungen die mit Twitterdaten gefüttert werden.

    Ansonsten ist Twitter schon eine sehr lustige Sache :) Und nützlich zugleich.

    Sonst wäre ich nämlich nie auf diesen Post und Blog aufmerksam geworden ;)

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  2. Was mich freut.

    Was die Zeichenzahl betrifft, stimmt der Einwand gerade bei so unhandlichen Hashtags wie ‚TwitternWieBeiMuttern“. Da muss man – nicht nur wegen der Auffindbarkeit und der Gefahr von Tippfehlern – im ernsteren Einsatz (z.B. bei Tagungen) schon strategisch überlegen.

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