New Media Academic Summit 09: Jede Firma ist ein Medienunternehmen

Während der Journalismus in vielen Ländern in einer Wirtschafts- und aus Sicht einiger auch in einer tiefen Sinnkrise steckt, sehen sich Mediennutzer, aber auch Organisationen in neuen Rollen: „Jede Firma ist ein Medienunternehmen“ proklamierte Richard Edelman als Leitmotiv des New Media Academic Summit 09 (#nmas09), der diese Woche in Washington stattgefunden hat. Die Konferenz wurde von Edelman, einer der weltweit größten PR-Agenturen, nun zum dritten Mal organisiert und hat zum Ziel, Akademiker und Praktiker – zu einem Teil Edelman-Kunden – zusammenzubringen. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen ging es nicht darum, Forschungsergebnisse, Erklärungsmodelle oder ähnliches zu diskutieren, sondern die Praktiker sollten erzählen, welche Erfahrungen sie in der Welt der „New Media“ machen und den Akademikern aktuelle Fallbeispiele an die Hand geben, die in die Lehre eingebaut werden können.

Es ist nicht einfach, zwei mit elf Sessions, mehreren Keynotes und vielen hochkarätigen Teilnehmern vollgepackte Tage zusammenzufassen. Deshalb will ich nur punktuell auf einige Aspekte der Diskussionen eingehen.  Hinzu kommt, dass Veranstaltungen dieser Art natürlich nicht nur durch ihre Inhalte bedeutsam sind, sondern zu einem wichtigen Teil als Networking-Plattformen konzipiert sind. Und da hat Edelman ganze Arbeit geleistet: Immerhin waren schätzungsweise 150 Akademiker aus allen Teilen der USA, aber auch einzelne aus Brasilien, Neuseeland, Großbritannien, den Niederlanden angereist, die untereinander und natürlich mit einigen Dutzend Praktikern aus Unternehmen, NGOs und der politischen Kommunikation ins Gespräch kommen konnten.

Doch zurück zum Rahmenthema der Konferenz: Mit Richard Edelmans Botschaft, jedes Unternehmen sei ein Medienunternehmen war natürlich auch die Botschaft verbunden, dass PR im Wettstreit mit Werbung, Promotion etc. in der neuen Medienwelt immer bessere Karten in die Hand bekommt. Allerdings verbunden mit neuen Anforderungen, denn in der Social Media Welt gilt: „‚Die Masse ist tot“ und „die Kontrolle über Botschaften ist verloren“, so Edelman. Nicht wirklich trival, damit umzugehen – und natürlich auch keine völlig neue Erkenntnis.

Public Engagement

Diese Feststellung konnte man während der Tagung immer wieder machen: Wirklich bahnbrechende Neuigkeiten gab es für diejenigen, die die Social Media-Diskussion schon länger verfolgen, nicht. Doch tauchten in den Diskussionen immer wieder sehr spannende Aspekte auf – etwa, wenn ein Macher der Obama-Kampagne erzählt. Da konnten die Teilnehmer sich schon wie die Topfgucker der brodelnden Welt des „Public Engagement“ fühlen. Auch dieser Begriff (für den mir keine einfache Übersetzung einfällt) zog sich wie ein roter Faden durch die Tagung. Dahinter steht zum einen, dass das Vertrauen in klassische Institutionen seit Jahren abnimmt, das Vertrauen des einzelnen in sein soziales Netzwerk jedoch immer bedeutsamer wird.“ Public engagement“ meint damit also, dass die PR dorthin gehen muss, wo relevante Kommunikation stattfindet. Kurz: Die PR müsse dort Präsenz zeigen und mit Menschen Beziehungen aufbauen, die Leidenschaft und Sachverstand haben, forderte Edelman. Diese vertiefte Mike Slaby, ehemaliger Chief Technology Officer der Obama-Kampagne. Er sieht aus PR-Sicht mehrere Erfolgsfaktoren in der Social Media-Welt. Hierzu gehören vor allem:

  • die Erkenntnis, dass Social Media kein Broadcast sind, sondern dass Organisationen auf Augenhöhe mit Ihren Zielgruppen sind
  • die Notwendigkeit, möglichst omnipräsent zu sein – und zwar nicht nur punktuell, sondern kontinuierlich
  • Persönlichkeit, Storytelling und Kenntnis der Sprache der relevanten Communities
  • Selbstbewusstsein und Überzeugungskraft, um auch mit Kritik souverän umgehen zu können

Entscheidend aber für das Public Engagement ist aus Slabys Sicht die Fähigkeit, Online-Verbindungen in Handlungen umwandeln zu können. Anders ausgedrückt: Nicht die Zahl der Twitter-Follower oder der Facebook-Freunde ist entscheidend, sondern wie viele davon zu konkretem Verhalten zu motivieren sind – seien es Freiwilligenarbeit, Spenden, Fürsprache oder andere Ziele.

Für Unternehmen besonders schwierig: „Die Leute wollen mit Menschen Beziehungen haben, nicht mit Marken“, meinte Rick Murray, President Edelman Digital, in einer Diskussion. Hier kommt sehr schnell wieder die Frage, inwieweit Mitarbeiter durch ihr Engagement in Social Media zu Unternehmenssprechern werden sollen. In einigen Panels wurde dies als notwendig gesehen. Allerdings greift einer der teilnehmenden Akademiker, Toni Muzi Falconi (New York), diesen Punkt in einem Blogpost kritisch auf:

„.. rather than enabling an employee to better understand and interact with the organization, we enable employees to become public relators and focus on using (exploiting?) them to deliver pur contents more effectively. This has a sour taste of spin, front organization and/or astroturfing. Have we developed responsible policies related to this practice? Are these policies known to communicators, employees, other managers and organizational publics?“

Hinzu komme, dass das mittlere Management zu fürchten beginne, dass nach außen kommunizierende Mitarbeiter ihre eigentlichen Aufgaben im Unternehmen vernachlässigen. Schließlich sieht er die Gefahr, dass Mitarbeiter, die die neue Rolle als Kommunikatoren annehmen möchten, Nachteile erhalten können. Dass Toni mit diesen Einwänden richtig liegt, zeigt sich beispielsweise an der aktuellen Diskussion um die PR-Bemühungen des Bauernverbandes, der seine Mitglieder dazu bewegen möchte, sich im Internet zu artikulieren – was nicht überall gut ankommt. Die Gefahr, dass solche Aktionen als Unterwanderung gesehen werden, ist sicher groß. Die entscheidende Frage ist, wie solche Bemühungen transparent und nach für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren Regeln erfolgen können. Womit aber auch gesagt ist, dass letztlich vermutlich kein Weg daran vorbei führt, Mitarbeiter als Kommunikatoren zu begreifen.

Neben Regelwerken, die es in einigen Unternehmen bereits gibt, spielt auch die Schulung der Mitarbeiter eine wichtige Rolle: So hat die Mayo-Klinik beispielsweise drei Mitarbeiter, die sich um Social Media kümmern, wozu auch das Coaching von Mitarbeitern gehört, die selbst aktiv sein möchten. Hierzu wurden unter anderem spezielle Onlinekurse entwickelt.

Interne Kommunikation

Deutlich wurde auch, dass Social Media in der internen Kommunikation eine wichtige Rolle spielen können, beispielsweise bei McDonald’s oder bei General Electric. Ziel von GE: firmenintern Zweiwegekommunikation herstellen. Hierzu seien im Intranet bereits 9.000 Blogs und Wikis in Betrieb, so Susan Bishop, verantwortlich für das Mitarbeiter-Marketing.  Und aus Sicht von McDonald’s sieht die Aufgabevon Social Media in der internen Kommunikation so aus: „Wir müssen herausfinden, wo es Probleme in der Organisation gibt, damit wir sie lösen können“, so Jason Greenspan, Strategic Communications Director bei McD.

Das Tagungsformat

Viele weitere Fragen rund um Social Media in der PR wurden auf ähnliche Weise angetippt, und aus jeder Session ließen sich noch ein paar griffige Zitate ziehen. Folien gab es übrigens nur ein einziges Mal, zum Vortrag von Richard Edelman. Alle anderen Sessions waren eher Gespräche. Dies passt zum Zeitalter der Konversationen, wie es in den USA gern genannt wird. Allerdings: Die genannten Beispiele blieben nur sehr grob skizziert, wirkliche Case Studies gab es nicht. Die sollen nun nachgeliefert werden: Ausführliche Materialien, die auch in die Lehre einbeziehbar sein sollen, sind jedoch versprochen. Soweit ok, wobei ich mir ein, zwei detaillierte Fallbeispiele und vertiefte Diskussionen dazu schon erhofft hatte.

Insgesamt hat Edelman einen enormen Aufwand betrieben und hochkarätige Gesprächspartner organisiert und eine gute Grundlage für vielfältige Vernetzung geschaffen. Trotzdem ein winziges „Aber…“ :  Ein bisschen schwierig ist aus meiner Sicht immer das Zusammenspiel zwischen Praktikern und Akademikern. Hier moderierten Praktiker Diskussionsrunden von Praktikern, und die Akademiker waren in der Rolle der Zuhörer, die dann am Ende mehr oder weniger Zeit für Fragen hatten. Auf der Euroblog 2008 kamen auch beide Seiten zusammen, nur unter weitgehend umgekehrten Vorzeichen. Damals waren viele Praktiker mit ihrer weitgehend passiven Rolle unzufrieden, andere fanden wissenschaftliche Diskussionen einfach fade. Am New Media Summit nun habe ich ein wenig vermisst, dass Akademiker und Praktiker problemorientiert auf der selben Ebene diskutieren und vielleicht in Workshops ihre Expertise wirklich zusammenbringen. Vielleicht ist das Ganze jedoch noch nicht weit genug entwickelt, und es muss noch erklärt werden, in welchem fundamentalen Wandel sich öffentliche Kommunikation befindet (doch diskutieren wir das nicht schon seit ein paar Jahren?). Wie auch immer: Wertvolle Denkanstöße, spannende Gespräche und Vernetzungen hat es auf der Tagung auf jeden Fall gegeben.

Weitere Quellen:

7 Kommentare

  1. Ich komme gerne mal nach Darmstadt, um die Arbeitsweise dahinter vorzustellen und mit den Studierenden zu diskutieren. Die Rechtschreibfehler lasse ich dann auch zu Hause ;-)

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  2. Auch Clay Shirky verwendet diesen Begriff. In „Here Comes Everybody“ (2008, Paperback) (S.107) schreibt: er „All businesses are media businesses, because whatever else they do, all businesses rely on the managing of information for two audiences–employees and the world. […] Many institutions we rely on today will not survive this change without significant alteration, and the more an institution or industry relies on information as its core product, the greater more complete the change will be.“

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  3. Also vollkommen objektiv betrachtet ist dies immer eine Frage des Verständnisses. Und schlussendlich wird die echte Bedeutung eines Ausdrucks durch die vorherrschende Meinung in der Bevölkerung gebildet.
    Dementsprechend muss ich formulieren: „alle Unternehmen sind Medienunternehmen“ –> Nein, JETZT noch nicht, aber tendenziell immer mehr.

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