Plague: Eindrücke von der App für virales Verbreiten

newsDiese Woche habe ich ein bisschen mit Plague gespielt. Eine recht neue App, die in den vergangenen Tagen an einigen Stellen schon besprochen wurde. Ihr Ziel: Spielerisch Inhalte weitergeben an die vier geographisch nächsten Nutzer – gleich einem Virus. So weit, so klar, Zeit für ein paar Innenansichten. Kurz zusammengefasst: Im Moment ein nettes Spielzeug, das aber durchaus das Potenzial hat, mehr zu sein – vom Testballon für Inhalte bis zum Turbo für Aufreger und andere Emotionen.

Hinweis (13.12.2014): Inzwischen hat sich die Nutzung von Plague zum Teil schon verändert. Und durch ein hervorragendes Community Management der Entwickler erfahren die Nutzer viele Tricks und v.a. einige ihrer Pläne. Ich habe den Artikel deshalb meinem aktuellen Wissensstand angepasst.

Wie funktioniert Plague?

Den Gral zur Viralität suchen viele. Warum also nicht gleich eine ganze App entwickeln, die allein auf Viralität aufbaut, dachte sich wohl das litauische Agentur Startup Deep Sea Marketing. Wie funktioniert das Ganze also nun? Die kostenlose App (Achtung: „Plague – The Network“ installieren) verbreitet jeden Post automatisch an die geographisch nächsten vier Nutzer. Die App setzt also voraus, dass GPS eingeschaltet ist und läuft natürlich am liebsten immer im Hintergrund. Bei den geteilten Inhalten kann es sich um Links, kurze Texte, Videos oder Fotos handeln. Dabei funktioniert das Teilen ganz einfach: Gefällt ein Inhalt, wird auf dem Smartphone nach oben gewischt, der Post verbreitet sich wiederum an die vier geographisch nächsten Nutzer. Soll ein Inhalt nicht verbreitet werden, wischt man nach unten. Bei Bedarf kann man vorher noch kommentieren oder die Statistik zur bisherigen Verbreitung ansehen. Das ist alles. Und nach dem Wisch ist alles weg. Ein Speichern oder der Transport in andere Plattformen ist in der aktuellen Version der App nicht vorgesehen. Mittlerweile hat sich für das Speichern jedoch ein Workaround herausgebildet: Einmal kommentierte (z.B. mit „.“) Posts bleiben im Dashboard. Die Verknüpfung mit anderen Diensten ist für die nächste Version angekündigt.

Realitätscheck

Soweit das Prinzip, nun zu ersten Eindrücken. Ein bisschen habe ich die App mit gemischten Gefühlen geladen. User melden sich dort üblicherweise pseudonym an. Die Schwelle, irgendwelche Inhalte zu teilen, die andere vielleicht gar nicht sehen möchten, ist womöglich sehr gering, wurde bereits von einigen diskutiert; sie haben schon Pornos, böse Gerüchte oder ähnliches befürchtet. Ist aber nicht. Zumindest nach vier Tagen intensiven Spielens in einer Community von Early Adopters. Mein Eindruck in der ersten Woche war, dass genau solche Spielkinder wie ich die App nutzen, und was ich bisher gesehen habe, war weitgehend harmlos: Insgesamt hat mich der Mix an Themen ein bisschen an Tumblr erinnert. Die einen haben mit dem Posten eigener Bilder, dem Ferrari am Straßenrand, Landschaften, dem üblichen Foodporn begonnen. Andere verbreiteten Fundstücke oder eigene Weisheiten (Sinnsprüche sind die neuen Katzen, und herausragende Fotos gehen immer), gelegentlich mal ein Video, selten einfach nur ein Link.

Wenn ich schreibe: weitgehend harmlose Inhalte, so muss es eine Ausnahme geben. Tatsächlich habe ich unter den vielen Posts, die ich hoch- oder runtergewischt habe, einen (!) gefunden, der einen stärkeren Unternehmensbezug hatte. Gezeigt wurde ein sexistisches Bildmotiv mit Volkswagen-Logo, schnell als „geschmacklose Werbung“ von einem anderen User kommentiert. Ob die Plague-Nutzer erkennen, ob ein solches Motiv echt oder ein Fake ist?

Haben da die VW-Werber furchtbar daneben gegriffen oder ist das ein Fake? Plague-Nutzer werden das kaum erfahren.
Haben da die VW-Werber furchtbar daneben gegriffen oder ist das ein Fake? Plague-Nutzer werden das kaum erfahren.

 

Eine Woche später

Extrem spannend war für mich zu sehen, wie sich nach einigen Tagen eine richtige Community unter den etwa 20.000 Nutzern der ersten zwei Wochen entwickelte. Katzen-Content wird mittlerweile überwiegend gestoppt. Seitdem sieht man immer mehr Cards (so heißen die Beiträge) mit Text. Das Ganze wurde nun viel politischer, etwa durch Fragen wie z.B. „Was halten Amerikaner vom Folterbericht der CIA?“ oder „Was ist von Edward Snowden zu halten?“. Oft entstehen so sehr internationale Diskussionen mit Dutzenden oder 130 bis 200 Kommentaren. Natürlich beschäftigen sich viele Diskussionen auch mit der Plattform selbst. Besonders interessant: Obwohl es kein Followerprinzip gibt, haben viele Beiträge innerhalb kürzester Zeit einige Tausend Views. Eine solche Reichweite erreicht man mit interessanten Themen wohl kaum auf einer anderen Plattform.

 

Was bedeutet Plague für Marketing und Kommunikation?

Wahrscheinlich scheint mir zu sein: Aufregerthemen dürften sich schnell verbreiten unter einem solchen Mechanismus. Das könnten im Prinzip NGOs nutzen, z.B. mit Kampagnenmotiven, das könnte auch ein Foto aus einer Demonstration heraus sein. Patrick Beuth überlegt auf Zeit Online unter anderem, dass Journalisten oder Fotografen durch Plague ein Gespür für die Relevanz eines Themas bekommen könnten.

Die erreichte Verbreitung jedes Beitrags wird nett aufbereitet.
Die erreichte Verbreitung jedes Beitrags wird nett aufbereitet.

Tatsächlich sind die Statistiken, die jeder zu seinen eigenen Inhalten oder zu Fremdinhalten sieht, hübsch gemacht: Man sieht für jeden Post eine Zustimmungsquote, die Verbreitung in absoluten Zahlen und geographisch aufbereitet und schließlich, wie schnell das Ganze sich entwickelt hat. Außerdem gibt es zu jedem Nutzer eine kleine Statistik, die zeigt, wie sehr sich seine bisherigen Posts verbreitet haben. Mit der Zeit können also Super-Spreader erkannt werden – jedoch derzeit nur per Zufall, ein Ranking o.ä. gibt es nicht. Generell bauen die Nutzer keine soziale Beziehung untereinander auf. Denn man bekommt (zumindest bisher) einen Inhalt nur einmal angezeigt und kann ihn nur einmal kommentieren. Dann ist er weg, eine Suche oder eine Speichermöglichkeit gibt es nicht – solange man keinen Screenshot macht. Insofern wird Plage gern als „Anti-Social-Network“ bezeichnet, das mehr noch als Snapchat auf Flüchtigkeit setzt. Immerhin kann man in seinem Profil Instagram-, Snapchat- und Twitter-Accounts verlinken.

Ob sich neben dem bisher völlig spielerischen Gebrauch der Plattform andere Nutzungsformen herauskristallisieren, wird sicher auch von der Nutzerzahl und vor allem von ihrer Kreativität abhängen. Als ich mich am Dienstag registriert habe, wurden mir Posts aus den USA, Litauen und Ungarn angezeigt. Die nächsten Nutzer waren also ganz schön weit weg. (Update, 8.12.: Dies kann aber u.U. auch daran liegen, dass jemand ganz in meiner Nähe diese Posts weiterverbreitet hat.) Inzwischen bekomme ich viel aus dem Rhein-/Main-Gebiet oder dem Münchner Raum angezeigt. Ob die App einmal für Propaganda, Pornographie oder zur Verbreitung von Gerüchten genutzt wird?

Da die Kommunikation im ersten Schritt zufällig ist (man weiß nie, wo und wer die vier Nutzer in der Nähe sind) und im zweiten Schritt die Inhalte noch bewertet werden müssen, halte ich es beispielsweise für wenig wahrscheinlich, dass auf Plague Pornographie verbreitet wird.und gelegentlichen Augenzeugen-Posts. Diese dürften aber erst Schlagkraft entwickeln, wenn die Nutzerzahl größer ist und das Ganze aus der Anti-Social-App ins Social Web überspringt. Eher rechne ich mit viel Cat-Content und gelegentlichen Augenzeugen-Posts.

Darauf aufbauende Marketing-Kampagnen könnte ich mir durchaus vorstellen, bzw. Kampagnen, die zur Nutzung dieses Mechanismus aufrufen – z.B. rund um Events mit spannenden Bildmotiven, etwa von Marken wie Red Bull. Sollten umgekehrt Nutzer für Unternehmen kritische Beiträge verbreiten, müssten diese vermutlich hochemotional sein, um sich zu verbreiten. Schwierig ist dann eine Reaktion, da dies auf dem selben Kanal kaum funktionieren dürfte. Kaum möglich dürfte zumindest im Moment ein systematisches Monitoring sein.

tldr

Plage ist mehr als ein nettes Spielzeug, derzeit mit einigen harmlosen Alltagsinhalten, aber auch mit intensiven Diskussionen über Grenzen hinweg. Marketing- und Kommunikationsexperten sollten die Entwicklung der App im Blick haben.

12 Kommentare

  1. Nach einem Tag muss ich zugeben, dass mir die App und deren Ansatz ganz gut gefällt. Man braucht selbst keine Reichweite oder ein großes Netzwerk um „Erfolg“ zu haben. Alleine gute Inhalte zählen. Und was gut ist, entscheiden erst mal die ersten vier User in deiner Nähe, und dann die nächsten vier in deren Nähe, usw.
    Damit es weltweit funktioniert sollte es ein Bild oder Video sein, das für sich spricht, oder aber der Text muss Englisch sein. Ansonsten kommt die Viralität an der Sprachgrenze zum Erliegen.
    Man kann niemandem folgen; was zum einen schlecht ist, wenn ein User besonders gute Inhalte teilt, was dagür aber nicht dazu führt, dass die üblichen Verdächtigen wieder mal ein Ranking anführen, das sie auf Twitter, G+ oder Facebook auch schon dominieren.
    Besonders gut:
    – Einfache Interaktion durch swipen. Nach oben wischen bedeutet weiterverbreiten, nach unten heißt „ab in die Tonne“. Inhalte können kommentiert werden und Anstößiges kann man melden.
    – Post Statistics: die Möglichkeit zu checken, wie sich sowohl die eigenen Cards (so nennt man die Inhalte), als auch die der anderen verbreiten
    Verbesserungswürdig:
    – Posten kann man nur mit eingeschalteter Lokalisierung – und die ist ziemlich genau. Insofern immer gut überlegen, was man von wo aus in die Welt schickt.
    – Weder eigene Posts, noch eigene Kommentare können editiert oder gelöscht werden
    – Inhalte können nicht gespeichert werden. Wünschenswert wäre eine Speicherung durch wischen nach rechts oder links.
    – Weit entfernt von Fair Use, an Wahrung des Urheberrechtes gar nicht zu denken. Auch hier werden wieder mal die üblichen Spaßbildchen aus 9Gags, Heftig oder Buzzfeed erneut geteilt werden
    Fazit: Trotzdem interessant :)

    Gefällt 1 Person

  2. Ich überlege gerade, welchen Einfluss die App auf den Journalismus haben kann. Das auf Zeit Online angesprochene Monitoring ist sicherlich ein Aspekt. Wie sieht es mit der App als Kommunikationsweg einer Redaktion aus? Exklusivthemen, die Potential zum Aufreger haben (z.B. Burger King kündigt Franchise-Nehmer / Blockupy-Kessel in Frankfurt / Bahnstreik), dürften sich über Plague schnell verbreiten lassen. Die Frage ist, welche Aufbereitungsform hierzu geeignet wäre. Geben sich Nutzer mit Teaser + Link zu frieden, wie sie es von Facebook oder Google+ kennen? Oder müssen die Themen optisch deutlich ansprechender präsentiert werden? Vermutlich braucht es hier jedoch erst einmal deutlich mehr Nutzer, um Erfahrungswerte sammeln zu können.

    Like

    1. Ja, da müsste man einiges ausprobieren. Aus Sicht von Redaktionen wie von Unternehmen stellt sich zudem die Frage, wie sie in dieser doch recht geschlossenen Umgebung, in der keinen Followeraufbau gibt, profitieren können (über den Moment hinaus)

      Like

      1. Vermutlich gilt es hier die Definition von „profitieren“ im Social Web zu überdenken. „Plague“ will kein klassisches Social Network sein, entsprechend ist möglicherweise der Profit nicht in der Followerzahl zu sehen, sondern in der Viralität der Inhalte. Entscheidend dürfte dabei sein, wie die Unternehmen selbst dann die App für ihr Community-Management einsetzen. Das Posten von URLs im Reintext wirkt auf den ersten Blick in der App eher unschön. Snippets wie bei Facebook und Google+ oder wie die Twitter Cards gibt es nicht (?) – habe ich noch nicht entdeckt (?). Vermutlich beurteilen Unternehmen und v.a. Redaktionen die App nach der Anzahl von Klicks, die darüber auf dem eigenen Webauftritt generiert werden. Ob das die richtige Maßzahl ist, muss sich noch zeigen – meiner Meinung nach auch bei klassischen Social Networks. Ich plane in den nächsten Wochen im Hinblick auf die journalistische Nutzung das eine oder andere auszuprobieren. Mal sehen, ob es gelingt. Bericht gibt es dann natürlich online und auch als Kommentar hier. Den einen oder anderen Beitrag werden Sie vermutlich über Plague dann auch zugespielt bekommen. Geografisch zählen Sie vermutlich derzeit zu einem meiner vier unmittelbar nächsten Kontakte.

        Like

      2. Mit Ihrer Argumentation zum „Rückfluss“ rennen Sie bei mir offene Türen ein. Geht es um eine breitere Adaption, wird diese Frage (nach genügend Feldversuchen) zu beantworten sein. Aber klar, allein das Verbreiten einer Information kann z.B. schon helfen, einen journalistischen Auftrag zu erfüllen. Bin gespannt auf die Ergebnisse Ihrer Versuche!

        Like

  3. Thomas, thank for covering! Here is some points:
    – You receive not only content that was posted nearby, but also content that was reposted (spread) near you. That’s why you can see posts from USA, Lithuania and other countries.
    – We will greatly improve links handling with the next update (about 10 days) – both presentation, reading and easy sharing from other apps like browsers, other social services, rss readers and so on. We think it will help users to spread more of „longform“ content besides photos and short texts. It will be something like this http://monosnap.com/image/xBJRvzRGlrhOHA9v5pUM4R9ILLEn70.png
    – We are not marketing agency, we are a small startup. Plague is our third social media project.

    Like

    1. Thank you very much for your information and the interesting insights, Ilya. I just updated the blog post. I’m looking forward to the next update, a closer connection to other platforms sounds exciting.

      Like

  4. Ich finde es derzeit interessant zu beobachten, wie die „Plague“-Community darüber diskutiert, in welcher Sprache die App genutzt werden sollte. Die englischsprachige Community bittet die aus dem deutschen Sprachraum stammende sowie die User aus dem russischen Sprachraum und dem finnischen, nur in britischem oder amerikanischem Englisch zu posten. Nur so könne man sich über die Grenzen hinweg austauschen. Heute sind mir zu diesem Thema gleich sechs oder sieben Posts begegnet. Ich vermute, es liegt daran, dass wir derzeit eine geringe Anzahl an Usern haben. Möglicherweise macht aber auch ein Übersetzer mittelfristig Sinn. So kann der Inhalt einer Nachricht zumindest in den Grundzügen von anderen Ländern verstanden werden.

    Davon abgesehen gilt wohl, was viele User vorschlagen: Ist der Post nur lokal relevant, sollte die lokale Sprache genutzt werden. Ist es eine Nachricht, die über die Sprachraumgrenzen hinweg relevant ist, sollte Englisch für die Beiträge gewählt werden.

    Like

    1. Ja, das ist eine spannende Frage, ich bin auch neugierig, wie sich das regelt. Schwer zu sagen ist natürlich, was „relevant“ genug für eine englische Übersetzung ist.

      Like

Kommentare sind geschlossen.