Infoflut: Nachschrauben statt Detox

„Digital Detox“, „Experiment Offline“. Solche Schlagworte tauchen mit schöner Regelmäßigkeit auf, entweder zur Ferienzeit im Sommer oder eben zum Jahresbeginn. Für mich kein erstrebenswerter Weg. Ich setze lieber auf meine Smartwatch. Klingt komisch? Und das, obwohl auch ich ständig versuche, in den Contentströmen nicht abzusaufen. Nein, gerade deswegen.

Wasserhahn
Einfach mal alles abdrehen, damit uns die Nachrichtenstöme nicht wegspülen?

Klar, wir kennen das alle: Tonnen von Mails, hektische Newsstreams in Twitter, bei Facebook ständige Verführung zum Sharen, Liken und Katzenvideos gucken. Und ja, die hübschen Bilder bei Instagram, der fast platzende Feedreader und natürlich die Bekannten oder Familienmitglieder, die per Messenger schnell was wissen möchten – oder sich Emojis um die Ohren hauen (gut, dass kaum jemand in meinem Umfeld Snapchat nutzt). Ein Szenario, das mindestens zwei Probleme schafft: Das der Überforderung und jenes der Unsicherheit: Man weiß ja vorher nicht, ob einen Wichtiges erwartet. Nach Belieben kann man noch weiter schwadronieren, über psychische Abhängigkeit oder Hilflosigkeit im Alltag ohne digitales Netz.

Offline als Selbsterfahrungstrip?

Wäre es also nicht schön, einfach mal den Akku leer werden zu lassen oder sonstwie offline zu bleiben? Die Frage haben sich gerade mal wieder ein paar Leute gestellt und darüber zu fünft – durchaus ambivalent und amüsant – in der FAZ geschrieben. Eigentlich ist es ja irgendwie lustig, dass solche Offline-Experimente gern (auch) online veröffentlicht werden. Ich kann mir nicht helfen, aber für mich haben diese Offline-Selbsterfahrungstrips etwas von Landlust. Zu dieser Hochglanz-Rückzugswelt finde ich partout keinen Zugang. Das klingt für mich immer wie Fortschritt durch hochauflösendes Heimeln.

Digitale Rollenspiele

Aber natürlich gebe ich zu: Irgendwie muss auch ich schauen, dass ich nicht in Digitalien versinke. Das gilt für den Arbeitsalltag, in dem – Überraschung – natürlich bestimmte Dinge mit Priorität abgearbeitet werden müssen, erst recht aber gilt das für Freizeit und Urlaub. Wie also versuche ich, der Sache Herr zu werden? Die erste Grundüberlegung: Ich bemühe mich so gut es geht, Rollen zu trennen. Mir ist klar: Eine wirklich systematische Trennung kann es nicht geben und wäre auch zweifelhaft. Trotzdem, ich versuch’s immer wieder. Also: Für Berufliches natürlich die Hochschulmail, für richtig Privates eine Mailadresse, die online keiner findet und für alles dazwischen – also Social Media-Aktivitäten, Alerts etc. – eine dritte Adresse. Dem Tipp eines Produktivitätsgurus, alle Mails in einem Posteingang zu bündeln, kann ich heute nichts mehr abgewinnen.

Mail statt Messenger

Was hilft mir noch? Ich finde wohltuend, konventionelle Messenger – also WhatsApp, Signal, Facebook – möglichst nicht für die Arbeit und schon gar nicht für Gruppen, die über Familiengröße hinausgehen, zu verwenden. Erstens ist mir viel zu pushy: Denn es meinen ja manche Leute, man müsste gleich antworten, bloss weil sie einen Messenger verwenden. Zweitens verliere ich bei Messengern den Überblick, wo was geschrieben wurde und wo für mich ein To Do drin steckt, das ich womöglich unterwegs oder in einem Meeting kurz angeschaut habe. Deshalb und wenn es altmodisch klingt: Mir sind Mails am liebsten. um mit mir beruflich zu kommunizieren. Mails kann ich durchsuchen und To Dos etikettieren. Und natürlich bemühe ich mich, die Mailbox am Arbeitsplatz nicht immer offen zu haben. Idealzustand: morgens und rechtzeitig vor Feierabend. Und natürlich: Möglichst wenige Newsletterabos oder gar Benachrichtigungsmails von irgendwelchen Plattformen.

Anders ist meine Kommunikation übrigens in Teams, mit denen ich enger zusammenarbeite (also z.B. Studenten, die ich in der Lernagentur coache oder enge Kollegen): Da nutze ich liebend gern Slack – das übrigens auch durchsuchbar ist und in dem man ebenfalls Nachrichten als To Do markieren kann.

Weniger Buzz durch die Smartwatch

Und was hat das Ganze jetzt mit einer Smartwatch zu tun? Diese Dinger bringen doch die Benachrichtigungen noch näher, so dass man nicht mal das Handy aus der Hosentasche ziehen muss?

Genau das ist der Witz daran. Die Smartwatch ist erst einmal bestens dazu geeignet, den Leidensdruck hochzuschrauben. Denn alles, das auf dem Sperrbildschirm des Smartphone angezeigt wird, kommt zunächst standardmäßig ans Handgelenk. Man kommt vor lauter Vibrationen gar nicht aus dem Zittern heraus. Allerdings nicht lange, und ich habe fast alle Benachrichtigungen der vielen Apps komplett ausgeschaltet. Push? Ohne mich, zumindest möglichst.

Besen
Wie im echten Leben: Ich habe das Gefühl, laufend den digitalen Besen zu schwingen.

Also: Keine Nachricht, wenn eine Mail eingeht, irgendwas auf Facebook oder Instagram passiert und schon gar keine dämlichen Breaking-News von Journalisten-Kollegen, die womöglich auf die Idee kommen, mir einen Beinbruch Helene Fischers (rein hypothetisches Beispiel) als aufmerksamkeitsrelevant unterschieben zu wollen. Kaum etwas lasse ich mir im Sperrbildschirm des Handys und damit auf der Smartwatch anzeigen. Ausnahmen sind Tore der Lilien („die Sonne scheint“), Messenger-Nachrichten meiner Familie, die kaum genutzten SMS und wenn mich jemand bei Twitter oder Slack direkt anspricht.

Ganz ähnlich handhabe ich es auf dem Desktop. Hier erlaube ich sogar nur einer App Benachrichtigungen: dem Kalender. Alles andere – Mail, Newsseiten, Facebook, Twitter, Trello – lasst mich bitte in Ruhe arbeiten. Wenn ich meine Arbeit unterbrechen will, komme ich bei Euch schon vorbei (bei Trello schaue ich morgens rein, um anstehende To Dos zu strukturieren)..

Smartphone: No Mail, no Facebook

Zurück zum Smartphone: Das Ding ist ein echtes Problem für mich. Denn es ist natürlich ein Gerät, in dem Kontakte und Termine stecken und mit dem ich private und berufliche Kommunikationskanäle pflege. Nein: pflegen kann. Facebook-Seiten, Facebook-Gruppen, drei, vier Twitter-Kanäle begleiten mich. Und ich fotografiere sehr gern und schau mir bunte Bilder bei Instagram an. Und ja: Das Ding möchte von mir, dass ich möglichst alle Mailboxen einrichte. Mach ich aber nicht mehr. Ätsch. Vor eineinhalb Jahren habe ich entschieden: Berufliche Mails kommen nicht mehr auf das Smartphone. Wenn etwas wirklich wichtig ist, muss man mich anrufen, antwittern, oder meine engeren Teams erreichen mich via Slack (das im Urlaub aber auch deaktiviert wird). Vor einigen Wochen habe ich auch Facebook vom Smartphone gelöscht. Und führe uns nicht in Versuchung…. Für Notfälle habe ich noch die Apps für Seitenmanager und Gruppen dabei, so dass ich also bei Bedarf reagieren kann. Dass ich das Smartphone trotzdem in der Bahn oder in Wartezeiten oft in der Hand habe, liegt am Feedreader bzw. Pocket und Twitter. Diese Apps nutze ich einfach immer gern – und wenn ich mir nur Dinge auf die Schnelle markiere, die ich am Abend in Ruhe nachlesen mag – abends auf dem Sofa mit dem Tablet.

Fazit: Kein Komplettverzicht

Wie fühlt sich das Ganze jetzt also an? Sicher gibt es keine perfekte Lösung. Ich bin jedenfalls ständig am nachjustieren, wenn es um Apps, Benachrichtigungen etc. geht. Entscheidend ist für mich: Ich möchte am Wochenende und im Urlaub nicht von der Arbeit verfolgt werden. Aber ich will auch die Onlinekommunikation nicht missen – ganz einfach, um interessante Geschichten zu lesen, oder um mich über die nächsten Anschaffungen oder Reiseziele zu informieren, um Fahrkarten oder Zimmer zu buchen und natürlich um zu fotografieren, mich mit Freunden oder der Familie verabreden. Kurz: Ich lasse das Smartphone gern mal in der Hosentasche, aber digitales Fasten ist nichts für mich.

 

 

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